Freien Handel fair und demokratisch gestalten

Warum wir nicht in die Einbahnstraße Deregulierung einbiegen dürfen – Rede bei der Konferenz „für einen Freien Welthandel“ am 13. September 2016 in Berlin.

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung. Gestern haben Sie schon über die  beiden kontroversen Handelsabkommen TTIP und CETA geredet.

Alle drei Abkommen eint ein Grundgedanke: Sie reden von Freihandel und Investorenschutz und meinen Deregulierung.

Unter den Bedingungen einer umfassend gewordenen Globalisierung brauchen wir aber mehr Global Governance. Wir brauchen einen demokratischen Rahmen, demokratische Regulierung. TiSA, TTIP und CETA liefern dies aber nicht.

Sie schränken den demokratischen Regulierungsspielraum enorm ein.

Verliere sind Arbeitnehmer, Verbraucher, Kommunen und die Umwelt.

 

Globalisierung aktiv gestalten

Das sage ich als ein ausgesprochener Befürworter von Freihandel. Ich bin gebürtiger Bremer und wir Bremer wissen, welcher Segen Handel haben kann.

Wir lebten schon in der Globalisierung bevor es den Kapitalismus gab. Und wir wissen, welche wichtigen Rollen der Abbau von Zöllen und die Beseitigung von technischen und bürokratischen Handelshemmnissen haben können.

Ich bin nachdrücklich dafür, die Globalisierung gemeinsam zu regeln. Der AfD-Weg zurück in die kuschligen Nationalstaaten ist keine Option. Dieser Weg überlässt die Globalisierung sich selbst und endet in Wirtschafts- und Finanzkrisen.

Als also angesichts der festgefahrenen Situation innerhalb der Welthandelsorganisation der Versuch unternommen wurde durch Handelsabkommen neue Standards für den Welthandel zu setzen, war dies zunächst ein gutes Zeichen.

Es gäbe ja für uns Europäer auch durchaus das eine oder andere, was wir von den Amerikanern und Kanadiern lernen könnten. Zum Beispiel bei der Aufdeckung von Dieselgate, bei Sammelklagen für Verbraucher, Emissionsstandards bei Kohlekraftwerken und sogar bei den Eigenkapitalanforderungen für Banken.

Aber anstatt mit TiSA, CETA und TTIP hohe Standards, Rechtsstaatlichkeit und Transparenz in fairen und inklusiven Handelsabkommen zu etablieren, sind Abkommen herausgekommen, die vor allem unter einer Maxime operieren: der „marktkonformen Demokratie“ um ein Wort von Angela Merkel aufzugreifen..

Statt demokratische Regulierung zu stärken, machen sie die Demokratie handelskompatibel.

 

TiSA – Einbahnstraße in die Deregulierung

Das hier diskutierte Abkommen TiSA zwischen 23 WTO-Mitgliedern zur Liberalisierung von Dienstleitungen ist ein gutes Beispiel dafür.

Es sind Verhandlungen, die wieder außerhalb der Welthandelsorganisation stattfinden. Problematisch ist aber vor allem der Inhalt: TiSA ist eine Einbahnstraße in die Deregulierung.

Durch drei Punkte droht das Abkommen eine Liberalisierung unwiderrufbar festzulegen:

  • Die Stillstandsklausel verplichtet Staaten, für bestimmte Sektoren den Status der Liberalisierung festzuschreiben – keine Chance also beispielsweise für eine Rekommunalisierung bestimmter Dienstleistungen.
  • Die sogenannte Sperrklinkenklausel geht sogar noch einen Schritt weiter: die Staaten verpflichten sich, dass in bestimmten Sektoren Liberalisierungsschritte wie Marktzugang und Meistbegünstigtenklauseln eingefroren und auch von künftigen Regierungen nicht zurückgedreht werden. Kommission und Bundesregierung behaupten hier seien einige Bereiche ausgenommen – im Verhandlungsmandat wurde dies aber nicht verankert.
  • Dazu kommt beim Thema Inländerbehandlung noch der Negativlisten-Ansatz. Nur Bereiche, die konkret auf einer Negativliste aufgeführt sind, sind von der Liberalisierung ausgenommen.

Die Liberalisierung wird so zur Norm und die demokratische Gestaltung zur Ausnahme.

Gerade aus der Erfahrung der Liberalisierung in Deutschland müssen wir doch sagen: Liberalisierung kann ein Fehler sein.

TiSA verhindert, dass solche Fehler korrigiert werden können. Mit TiSA gibt es nur einen Weg: vorwärts, vorwärts mit der Deregulierung.

Was im Abkommen als Marktzugang bei Dienstleistungen überschrieben ist, bedeutet in der Praxis einen Abbau staatlicher Gestaltungsmöglichkeiten – in der Sozial- und Umweltpolitik, dem Daten- und Verbraucherschutz, dem Schutz der Beschäftigten und der besseren sozial-ökologischen Regulierung unserer Wirtschaft.

Was nach Ansicht der Konzerne den Handel unnötig hemmt, wird zum Handelshindernis. Wir reden hier nicht von Zöllen, sondern beispielsweise von lokaler Mitsprache bei der Vergabe von Lizenzen für Dienstleistungen.

Wie weit dieser Eingriff dieser neuen Handelsabkommen in die Entscheidungshoheit der Politik geht zeigt sich am besten am Beispiel der geheimen Schiedsgerichten in CETA und TTIP.

 

Schiedsgerichte: institutionalisierte Erpressung

Befürworter von CETA und TTIP sprechen von Abkommen zwischen Rechtsstaaten und tatsächlich können wir stolz auf die rechtsstaatlichen Prinzipien sein, die in Europa inden USA und auch Kanada gelten. Doch gerade das macht die Forderung nach geheimen Schiedsgerichten so absurd.

Sowohl CETA als auch TTIP sehen solche Schiedsgerichte vor, mit denen – ausländische – Konzerne Staaten auf Milliarden-Strafen verklagen können, wenn sie ihre Gewinninteressen durch demokratisch verfasste Gesetze gefährdet sehen.

Private Schiedsgerichte, wie sie in CETA und TTIP vorgeschlagen sind, neigen nach allem was wir bisher gesehen haben zu einer sehr weiten Auslegung von Investitionsschutz – was kaum verwunderlich ist, profitieren die beteiligten Großkanzleien doch vor allem, wenn es zu immer mehr Klageverfahren kommt.

Der Skandal, dass Vattenfall vor einem solchen Hinterzimmer-Tribunal Deutschland wegen des Atomausstiegs auf Schadenersatz verklagt, soll also zur Regel werden.

Und genau diese Klage wäre auch noch nach dem neuen Vorschlag der EU-Kommission zu Schiedsgerichten möglich, die von der Bundesregierung als großer Erfolg verkauft wird.

Dabei hatte Sigmar Gabriel noch vor zwei Jahren im Bundestag gesagt: „Ich will nicht, dass wir eine parallele Geheimgerichtsbarkeit schaffen“.

Jetzt steht seine Zustimmung zu einem CETA kurz bevor, dass Konzernen Klageprivilegien vor geheimen Schiedsgerichten einräumt, die Bürger, NGOs und Staaten nicht haben – und einheimische Mittelständler auch nicht.

Der frühe Vogel reguliert den Wurm

Doch die geheimen Schiedsgerichte sind nur eine Hälfte der Machtposition, in die CETA und TTIP Großkonzerne hieven würden.

Mit der sogenannten regulatorischen Kooperation hätten sie von Anfang an immensen Einfluss auf unsere Gesetzgebung.

Sowohl CETA, als auch TTIP schaffen ein ganzes Gewirr aus Sondergremien mit unklarer Besetzung, vor denen sich Parlamente rechtfertigen müssen, wenn sie neue Gesetze verabschieden wollen.

Die Auswirkungen dieser regulatorischen Kooperation auf Standardsetzung und Gestaltungsspielräume in der Politik sind schwer abzuschätzen.

Es besteht die große Gefahr, dass der Schutz von Arbeits-, Verbraucher- und Umweltstandards extrem erschwert wird und sich die Interessen der Konzernlobby noch leichter durchsetzen lassen.

In der Zange aus geheimen Schiedsgerichten und regulatorischer Kooperation wird so gut wie jede demokratische Regulierung gestoppt werden, die sich gegen die Interessen von Großkonzernen richtet

Die Verlierer sind Arbeitnehmer, Verbraucher und unsere Umwelt.

 

CETA und TTIP sind schlechte Nachrichten …

… für das Vorsorgeprinzip

Regeln zum Schutz von Mensch und Umwelt, für die wir hier in Europa lange gekämpft haben werden in CETA und TTIP in Frage gestellt. Unser Vorsorgeprinzip wird in diesen Abkommen in großen Teilen durch das amerikanische – und übrigens auch kanadische – risikobasierte Prinzip abgelöst.

Kurzgefasst: anything goes.

Dabei geht es nicht um unterschiedliche Philosophien. Es geht konkret darum, dass man beim risikobasierten Ansatz einem Unternehmen erst einmal nachweisen muss, dass das Produkt krebserregend ist, bevor es verboten werden kann.

Das können wir nicht wollen.

 … für die Kommunen

Es ist auch kein Wunder, dass uns fast täglich eine neue Resolution aus einem Kommunalparlament erreicht, die sich gegen CETA und TTIP richtet.

Denn, ähnlich wie TiSA, geht auch von diesen Abkommen eine Gefahr für Kommunen und die öffentliche Daseinsvorsorge aus. Statt die sensiblen Bereiche unseres Zusammenlebens umfassend zu schützen, droht ein Flickenteppich aus unvollständigen Ausnahmen.

Die Liste der Geschädigten lässt sich noch länger fortsetzen:

  • Verbrauchern drohen niedrigere Standards und weniger Transparenz.
  • Kleine und mittelständische Unternehmen sind besonders von der gnadenlosen Liberalisierung betroffen und haben so gut wie keine Vorteile – zumal im Fall von TTIP die USA auf Ebene ihrer Staaten wohl ihre buy american-Klausel aufrecht erhalten will.
  • Viele umweltpolitischen Maßnahmen, aber auch Sozialstandards werden das Abkommen nicht überleben – und der Weg für neue Regulierungen wird verbaut.

Gewinner sind nur große Konzerne, die sich die kostspieligen Prozesse vor geheimen Schiedsgerichten leisten können und denen demokratisch gesetzte Regeln ein Dorn im Auge sind.

 

Die bösen Zwillinge CETA und TTIP

Aus all diesen Gründen sind es nicht nur wir Grüne, die seit Jahren vor den Handelsabkommen TiSA, CETA und TTIP warnen. Und während die Debatte um TiSA vor allem in Expertenkreisen abläuft, hat der Protest gegen CETA und TTIP längst die Straße erreicht.

Da demonstrieren Umweltverbände, Gewerkschaften – aber auch kleine und mittelständische Unternehmer gegen unfaire und undemokratische Handelsabkommen.

Die Regierungsparteien haben darauf verschiedene Antworten. CDU und CSU beschimpfen die Gegner und sprechen von „Empörungsindustrie“. Sie setzen darauf, dass sich die Interessen der Großkonzerne bisher immer durchgesetzt haben.

Die SPD unter Wirtschaftsminister Gabriel fahren da schon eine etwas schlauere Strategie. Die neue Devise lautet: CETA ist gut, TTIP ist schlecht.

So rechtfertigt Gabriel nun seine Zustimmung zu Schiedsgerichten und regulatorischer Kooperation in CETA. Das ist vielleicht parteitaktisch zu verstehen aber völliger Unsinn.

In CETA und TTIP steckt genau der gleiche Geist der Deregulierung. Beide Abkommen enthalten Klageprivilegien für Großkonzerne, beide bedeuten eine Abkehr vom Vorsorgeprinzip. Und Beide Abkommen machen hohe Standards zur Zielscheibe.

Zu sagen: wir bringen euch nur die Pest aber verhindern dafür die Cholera – das werden die Menschen nicht akzeptieren.

Deshalb gehen am nächsten Samstag wieder Tausende auf die Straße um gegen TTIP und CETA zu protestieren.

Sie haben Recht. Denn sie demonstrieren nicht nur gegen zwei schlechte Handelsabkommen – oder drei, wenn wir TiSA dazuzählen. Sie demonstrieren auch für eine faire und gerechte Handelspolitik.

Ja, die TTIP-Verhandlungen müssen gestoppt werden. Und ja, die Bundesregierung muss CETA ablehnen – übrigens auch die vorläufige Anwendung von CETA.

Denn dann ist der Weg frei, um Abkommen zu finden bei denen gegenseitiges Profitieren und Lernen im Vordergrund stehen.

Wir brauchen ein race to the top

Anstatt eine Abwärtsspirale an Deregulierung und Standardherabsetzung zu befeuern könnten gute Handelsabkommen eine race to the top auf beiden Seiten des Atlantiks starten. Und ein Vorbild sein für eine neue Welthandelspolitik.

Wenn Freihandel fair ausgestaltet wird, kann er für einfacheren Markzugang für kleine und mittlere Unternehmen sorgen und neu entwickelte Normen bewerben – in der Sozialpolitik genau wie beispielsweise im Zukunftsbereich der Erneuerbaren Energien.

Bei richtiger Ausgestaltung könnte eine enge transatlantische Zusammenarbeit positive Impulse für den Klimaschutz setzen und Sozialstandards erhöhen.

Denn so gerne wir Europäer mit etwas gerümpfter Nase über den Atlantik schauen – auch wir können noch einiges lernen.

Die Aufdeckung des VW-Abgasskandals haben wir beispielsweise etwa nicht dem großartigen Bundesverkehrsministerium unter der Leitung von Alexander Dobrindt zu verdanken.

Nein, es war die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA, die hier im Interesse von Umwelt und Verbrauchern gehandelt hat.

Auch wenn es um die Möglichkeit von Sammelklagen gegen Unternehmen oder Fragen der Finanzmarktregulierung geht könnten wir so Einiges von den USA lernen.

Während Amerika Lehren aus der Finanzkrise gezogen hat, wird den Banken in Europa immer noch zu viel Spielraum für gefährliche Spekulationen gegeben.

Auch in Fragen des Investitionsschutzes gibt es andere Möglichkeiten als die in CETA und TTIP verankerten geheimen Schiedsgerichte. Zurzeit wird intensiv über einen möglichen Internationalen Investitionsgerichtshof diskutiert. Das wäre eine Möglichkeit, den rechtsstaatlichen Weg bei Investitionsstreitigkeiten zu wahren.

Wenn wir Handelsabkommen schaffen, die den Weg für gemeinsame Regulierung ebnen anstatt eine Einbahnstraße für Deregulierung zu bauen, dann müssen wir deren Verhandlungstexte auch nicht mehr in geheimen Lesesälen vor der Öffentlichkeit verstecken.

Dann können wir  Globalisierung gemeinsam gestalten. Denn klar ist:

Nur fairer Handel ist freier Handel.

Vielen Dank.

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